Geliebt und geschmäht

12.12.10

Torhüterinnen - sprechen wir hier einmal von der weiblichen Form dieser ungewöhnlichen Spezies - gehören in den Handballkreisen seit der Erfindung dieses Spiels zu den Sonderlingen, bestenfalls zu den Originalen in der Mannschaft. Manche schaffen es, in die Rolle des Spaßvogels zu schlüpfen. Andere wiederum gefallen sich in der Rolle des komischen Kauzes. Sonderlinge sind sie quasi bereits per Definition ihres Handwerks. Sie nehmen fast immer die Hauptrolle ein. So oder so. Torhüterinnen sollen zwar laut Trainer immer mit der Deckung zusammenarbeiten, werden dann aber doch allzu oft allein gelassen werden.

Jetzt nimmt man ihnen ein Räppelchen, an das sie sich seit frühester Handballkindheit gewöhnt haben. Sie werden nach der neuen Handballregel praktisch in ihrem Sechs-Meter-Laufstall eingesperrt. Denn wenn sie bei einem Gegenstoß des Gegners hinauslaufen und es zu einem Zusammenprall mit dem gegnerischen Spieler kommt, ist die Schuld klar geregelt. Wie im Krimi immer der Gärtner der Mörder ist, so ist ab sofort die Torhüterin der Übeltäter und muss disqualifiziert werden. Das heißt, dass sie im Verlauf des Spiels nicht wieder eingesetzt werden darf. Ein Stürmerfoul dürfen die Schiedsrichter in diesem Fall nicht mehr geben, auch wenn der Torhüterin steht und die Spielerin sie praktisch "umrennt". "Ich finde es schade, dass ich nicht mehr mitspielen kann", sagt 09-Torhüterin Katrin Thiele, "aber die Sicherheit geht vor".

Torhüter sind nun mal verständnisvoll. Vielleicht sogar einfühlsam. Die Grevener Torhüterin in jedem Fall auch einsichtig. Sie verweist auf einige Unfälle in der Vergangenheit, wobei die Angreiferin selten eine Chance besaß, dem Zusammenprall auszuweichen, da sie immer in Richtung Ball - also nach hinten - schaut. Dagegen hat die Torhüterin das Spielfeld und den Ball voll im Blick, kann also entscheiden, ob sie mit ihrem Herauslaufen riskiert, mit dem Spieler zusammenzurasseln.

Auf der Seite der Verantwortlichen gibt es aber auch ein paar Pädagogen, die glaubten, der Torhüterin etwas zurückgeben zu müssen, wenn sie schon auf das Hinauslaufen verzichten muss. Und da sind sie beim Siebenmeter fündig geworden. Ab dieser Saison hat ein Gesichtstreffer eine sofortige Disqualifikation für die Schützin zur Folge. Sozusagen als Schmerzensgeld für die Wucht des Balles, der nicht nur den Teint der Spielerin verunstaltet, sondern hinter dieser Fassade auch im Gehirn die geordneten Zellen wie beim Flipper an alle möglichen Gehirnbanden prallen lässt. Manchmal bis zum "Tilt".

Allerdings, und hier zeigt sich wieder die Außenseiterrolle, stellen die Handballrichter eine Bedingung: Die Torhüterin darf sich mit dem Kopf nicht in Richtung Ball bewegen. Eine Aufgabe, die allenfalls unter starken Drogen möglich ist, denn normalerweise zeigt die Torhüterin einen Reflex. Egal, welchen Weg der Ball nimmt. "Es passiert aber ganz selten, dass sich eine Torhüterin nicht bewegt." Freilich findet sie die Regel gut, da sie die Torhüterinnen schützen soll. "Einige Spielerinnen werfen bewusst am Kopf vorbei und riskieren einen Kopftreffer", sagt sie. "Aber Absicht würde ich keinem unterstellen."

Da ist sie wieder, die gute Ader, dieses Mutter-Theresa-Syndrom. Wie es in der Bibel zu lesen ist. Torhüterinnen halten auch die andere Wange hin, wenn sie den Ball auf die linke Gesichtshälfte geschmettert bekommen. Vielleicht haben sie ja deshalb diesen Ruf des Sonderlings, den jede Feldspielerin so mag. Besonders, wenn ihre Torsteherin wieder einmal den Sieg gerettet hat. Auch wenn sie sich dabei eine Klitschko-Dröhnung mit Ball abgeholt hat.

Quelle: Westfälische Nachrichten